Stunden des Lichts
Francesco Biamontis Romanpoesie
Mit den branchenüblichen, nichts sagenden
Phrasen lehnten 1981 alle großen italienischen Verlage - mit einer Ausnahme - die Publikation von "L'angelo di Avrigue"
ab. Es war der erste Roman eines völlig Unbekannten, der in einem ligurischen Bergdorf hoch über dem Meer nahe der französischen
Grenze Mimosen züchtete und über keinerlei Beziehungen zur literarischen Szene verfügte. Für einen ihrer damals
einflussreichsten Vertreter aber kam das schmale Buch einer "rivelazione" (lit. Offenbarung) gleich: Italo Calvino hatte
es als Lektor für Einaudi in Turin zu begutachten und setzte die unverzügliche Veröffentlichung durch. Ausgerechnet
der intellektuellste und geistig ambitionierteste Schriftsteller der italienischen Nachkriegszeit störte sich überhaupt
nicht daran, dass ihm hier das Werk eines so genannten Autodidakten vorlag, der den Mikrokosmos seines kleinen Geburtsortes nur
manchmal für Gelegenheitsarbeiten zu Wasser und zu Lande in Spanien und Frankreich verlassen hatte.
Noch heute lebt der nunmehr 67-jährige
Francesco Biamonti oben auf dem felsigen Terrain über Bordighera zwischen den nur dürftig Trauben tragenden viti
magre (lit.durstige Reeben), knorrigen Olivenbäumen und breiten Libanonzedern im Duft von Eukalyptus, neben umsurrten
Bienenstöcken. Noch immer erzählt er, auch mit seinem vierten Roman, "Die Reinheit der Oliven", Geschichten
von Seeleuten, Schmugglern, Flüchtlingen und passeurs (d. h. Grenzschleusern). Dabei erscheint die jeweilige
Handlung in ihrer Kargheit eher als Vorwand. Denn was für den windgegerbten Einzelgänger Biamonti zählt, ist die
Landschaft, in der sich seine Gestalten bewegen: ihr Licht, ihr Geruch, ihre Luft, die den "von Sternen geritzten Himmel"
zu "einem einzigen Klang werden lässt".
Obwohl Francesco Biamonti - so sagt er jedenfalls
- nie Gedichte geschrieben hat, ist er doch ein Poet. In dem Heuschober, der seine Plattensammlung (darunter viel "kosmischer"
Messiaen) und seine Bibliothek birgt, stehen zahlreiche Kunstbände, zumeist französische Romane und eine Fülle
von Lyrikausgaben: Paul Valéry, T. S. Eliot und Eugenio Montale. Dem Nobelpreisträger aus Ligurien fühlt er sich
zutiefst verwandt. Kopien von dessen dinghaft-steinerner Dichte legt er aber keineswegs vor. Biamontis Objektwelt ist kein Kontrapunkt
zum "Nichts" und zum "Nichtsein" des Dichters der "Tintenfischknochen", selbst wenn seine eher rätselhaften
männlichen Protagonisten oft etwas larvenartig Schemenhaftes kennzeichnet. Meistens sind es vermeintlich geschichtslose Heimkehrer
in ihr abgeschiedenes Dorf. Melancholische Solitäre, die gerade noch einmal der Agonie entkommen zu sein scheinen wie der
auf obskure Weise angeschossene Leonardo in "Die Reinheit der Oliven". Der unterhält zu Véronique, der unsteten
Frau eines älteren französischen Professors, eine erotische Beziehung, bei der alles in der Schwebe verharrt wie das
"verwehende Flüstern der Blätter".
Biamontis zwar handlungsarmer, aber atmosphärisch
unerhört bildkonzentrierter neuer Roman schwingt auf einem delikaten "tänzelnden Schimmer", wo "ein wenig
Licht" auf "eine Schattenmauer" trifft und "die Träume, auch jene der Vernunft", noch nicht ganz
"am Untergehen sind". Mehr noch als in seinen früheren Büchern lässt dieser so poetisch evokative
Autor feine Verweise auf aktuelle politische Gegebenheiten einfließen. Nun sind es kurdische Flüchtlinge, die von dubiosen
passeurs über die Grenze gelotst werden, wobei mysteriöse Unfälle auf tödlichen Felsenpfaden die Doppelbödigkeit
dieses Terrains offenkundig machen.
Überall zeichnen sich die Spuren der Vergänglichkeit
ab, die im Gespräch Leonardos mit dem Professoren-Ehepaar über den Tod Mitterrands zu Signalen des Schmerzes, ja der
Todesangst ausufern. Der französische Präsident, der "gerade im Einklang mit dem Jahrtausend stirbt", wird
zur Symbolfigur einer ganzen sterbenden Welt.
Was man auf Italienisch Evasionsliteratur
nennt ist dieses Buch keinesfalls. Zu bitter sind die Einsichten in die politische Exponiertheit des Mittelmeerraums. Aber am
Ende überzeugt dieser Roman vor allem durch die ebenso rauschhafte wie präzise Intensität der Farbskalen seiner
Bildwelten. Bunt und bestechend klar zugleich sieht Biamonti seinen Lebensraum - immer "den Schauder im Licht" spürend,
dessen Stunden eben auch die der Finsternis sein können.
Ute Stempel
Francesco Biamonti: Die Reinheit der Oliven. Roman. Aus dem Italienischen von Paul-Wolfgang Wührl.
Verlag Klett- Cotta, Stuttgart 2000. 212 S.
20. März 2001
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